Liebe Klimaschützer:innen, wir haben es bereits angekündigt und freuen uns nun sehr: Der finanzpolitische Sprecher der Fraktion Grüne im Landtag von Baden Württemberg, Dr. Markus Rösler MdL (siehe Bild unterm Beitrag), war gerne bereit, uns zu diesem wichtigen Thema einige Fragen zu beantworten.

Wir bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich, dass er sich diese Zeit genommen hat. Hier also nun das Interview - Los geht´s!

Herr Rösler, Nachhaltigkeit und Finanzen zusammen zu denken - eine große Herausforderung. Wie gehen Sie denn an dieses Thema heran? Wie entscheiden Sie, wann finanzielle Ausgaben des Landes ‚nachhaltig‘ sind?

Dr. Markus Rösler MdL:

Erstens setzen wir generell Schwerpunkte in aus unserer Sicht nachhaltigen Ausgaben, z.B. für Bildung, erneuerbare Energien, Naturschutz, ÖPNV etc. Außerdem richten wir unser Beschaffungswesen an Nachhaltigkeitskriterien aus.

Zweitens haben wir gerade erst, 2023, als zweites Bundesland ein Gesetz für nachhaltige Geldanlagen verabschiedet: 17 Mrd. Euro insbesondere in den Versorgungsrücklagen werden damit nur noch in Unternehmen angelegt, welche die Nachhaltigkeitsziele (17 SDGs) und die Menschenrechtskonvention der UN, die Umweltziele der EU-Taxonomie und das 1,5- Grad-Ziel einhalten.

Außerdem werden Unternehmen von der Anlageentscheidung des Landes ausgeschlossen, die ihre Gewinne mit Atomkraft, mit grüner Gentechnik oder dem Anbau und Verkauf von Tabakprodukten verdienen. Und auch Investitionen in besonders korrupte Staaten und Diktaturen werden ausgeschlossen. Immerhin rund 20% der Unternehmen des Eurostoxx fallen so aus den Optionen zur Geldanlage heraus. 

Drittens haben wir bereits zwei Klimaschutzgesetze in der Legislatur seit 2021 verabschiedet und einen Klimavorbehalt für Förderprogramme des Landes eingeführt. Das bedeutet, dass jedes Förderprogramm des Landes erst auf seine Klimawirkung geprüft wird, bevor es bewilligt werden kann.

Ich persönlich setze mich zudem dafür ein, dass auf der Basis von Kooperation von Landwirtschaft und Naturschutz eine Reduktion des Einsatzes synthetischer Pestizide um mind. 40-50% bis 2030 und eine Ausweitung des Öko-Landbaus um mind. 30-40% erfolgt, dass Bio-Musterregionen und Bio-Kantinen gefördert werden, dass die Naturschutzmittel aufgestockt werden (von 30 Mio. Euro 2011 auf 115 Mio. Euro 2024). Zudem dafür, dass das Freiwillige Ökologische Jahr aufgestockt und Bildung für Nachhaltige Entwicklung inkl. Naturbildung gefördert wird, sowie dass das Projekt "Kompetenzzentrum Biologische Vielfalt und Taxonomie", also die Vermittlung von Artenkenntnissen an Uni Hohenheim, den Naturkundemuseen Karlsruhe und Stuttgart sowie der Umweltakademie BW eingerichtet wurde.

Was ist die größte Herausforderung, der Sie sich hier stellen müssen?

Dr. Markus Rösler MdL:

Wir stehen schon in aller Ehrlichkeit beim Thema Verkehr und der Abwägung zwischen  Straßenbau und ÖPNV im Konflikt mit unserem Koalitionspartner. Wir setzen sehr viel stärker auf die Umschichtung von Geldern für den ÖPNV, das Jugendticket und Radwege - was nicht immer in dem Umfang möglich ist, wie wir das wünschen.

Was glauben Sie, welches die dringendsten nachhaltigen Investitionen des Landes sein müssen? Und wie stehen Sie zu dem Thema „Schulden“?

Dr. Markus Rösler MdL:

Die dringendsten nachhaltigen Investitionen des Landes hängen ohne Frage mit dem Klimawandel zusammen. Dazu müssen wir insbesondere im Verkehrssektor Gelder weiter umschichten und zusätzliche Mittel investieren. 

Das Umweltministerium mit Thekla Walker beginnt im Haushaltsjahr 2023 mit Arbeiten für eine Hochwasser- und Dürrestrategie zugleich. Ein Hochwasser wie im Ahrtal soll und darf sich nicht wiederholen - dafür müssen wir Gewässer renaturieren, zusätzliche Überflutungsflächen schaffen. Und zugleich den Wald, die Landwirtschaft, den (Streu-) Obstbau widerstandsfähiger gegen Dürreperioden und die (Innen-)Städte widerstandsfähiger gegen Hitzeperioden entwickeln - also mehr Begrünung in den Städten, da muss sich das Bauen und Wohnen ändern. 

Was Schulden betrifft: Jeder Euro Schulden bringt Zinslasten für künftige Generationen mit sich, jedes Jahr. Die EZB hat eben erst den Leitzins auf 3,5% erhöht. Kredite werden wieder teurer. Wir müssen daher auf der einen Seite schon so viel wie möglich in nachhaltige Entwicklungen investieren. Andererseits dürfen wir - abgesehen von der formal existierenden Schuldenbremse, die in den Ländern ja härter formuliert ist als im Bund - aus meiner Sicht nicht den Fehler machen, künftige Generationen quasi handlungsunfähig zu machen durch Tilgungsverpflichtungen.

Als wir 2011 im Land an die Regierung kamen, hatte der Landeshaushalt rund 40 Milliarden Euro Umfang, davon 5% (!) Tilgungsverpflichtungen. Das ist nicht nachhaltig und entzog uns zwei Milliarden Euro Gestaltungsfreiraum für die Zukunft. So etwas will ich meinen Nachfolger/innen nicht hinterlassen. Derzeit liegen wir bei einem Landeshaushalt von rund 60 Milliarden Euro, davon 2% Tilgungsverpflichtungen - und das wird aufgrund der steigenden Zinssätze die nächsten Jahre sowieso wieder ansteigen.

Was möchten Sie den jungen Menschen auf klima-community.de noch auf den Weg geben? Was ist Ihre Hauptbotschaft in Sachen nachhaltiges Wirtschaften als Landespolitiker?

Dr. Markus Rösler MdL:

Wir müssen uns ehrlich machen: Die Ziele von Energiewende und Nachhaltigkeit werden wir global betrachtet nicht erreichen ohne Suffizienz, also Genügsamkeit. Unser Wohlstand ist nur möglich, weil es anderen Menschen nicht so gut, teils ganz mies geht. Wir benötigen damit zuerst eine große öffentliche Debatte um Lebensqualität und Lebensstil. Produkte jeglicher Art sollten reparabel sein - es gibt erfreuliche, aber zu wenige Entwicklungen dahin.

Und es muss uns klar sein - schon seit 1972: Es gibt Grenzen des Wachstums auf diesem Planeten. Es ist nicht schlecht für uns Menschen, wenn es (in Teilen mit Unterstützung der Wirtschaft) weniger Lebensmittelverschwendung, weniger Fleisch, weniger Retouren bei Bestellungen im Internet und wenn doch, dann keine Vernichtung dieser Waren, weniger Energieverbrauch durch geringere Raumtemperaturen... gibt. Da kann der Gesetzgeber viel vorschreiben, theoretisch. Aber praktisch brauchen wir dazu die Menschen dazu, ihr Verständnis, ihre Bereitschaft, mitzumachen - sowohl bei den Führungskräften der Wirtschaft als auch bei den Multiplikator/innen in der Gesellschaft und uns allen selbst.

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Dieses Schlusswort können wir von Klima Community e.V. nur absolut teilen - genau deshalb gibt es ja auch diese Plattform. Wir danken Herrn Dr. Rösler MdL also nochmals herzlich für diesen interessanten Einblick!

Demnächst erfahrt Ihr hier noch mehr zu dem Thema - aus ganz anderer Richtung. Seid gespannt!

Ansonsten gilt wie immer: Ihr habt Fragen, Themen, Anregungen? Teilt sie uns mit, teilt sie hier, bringt Eure Klimaschutzthemen hier zusammen.

Packen wir´s an!